Dialogprozess

Mudras, (G. R. Verhoek)

Im Netz der Beziehungen
Wir leben und arbeiten in einem Netz von Beziehungen und damit sind nicht ausschließlich Partnerbeziehungen gemeint, die bei dem Begriff "Beziehung" meist anklingen, sondern alle Beziehungen, in denen wir uns täglich befinden: zu Eltern, zu unseren Kindern, zu Kollegen und Kolleginnen, zu Vorgesetzten, zu Nachbarn, in Besprechungen und Sitzungen, beim Einkauf und beim Arztbesuch.

Regeln und Rituale beherrschen dabei viele Alltagssituationen und äußere Zwänge blockieren ein freies Miteinander.

Sind wir lediglich Gefangene solcher Beziehungen oder kann es uns vielleicht gelingen, jeden Tag neu wahrzunehmen, in jedes Gespräch unvoreingenommen hinein zu gehen und jede Begegnung offen und voller Neugierde zu beginnen?

Welche Fähigkeiten brauchen wir, wenn wir die zahllosen Probleme und Konflikte, mit denen wir es täglich zu tun haben, wirklich gut bewältigen wollen?

Informationen, Werbebotschaften und Meinungen überschütten uns. Fragen, Anforderungen und Vorschläge stürmen auf uns ein. Wir sind aufgefordert zuzuhören, zu bewerten und zu entscheiden. Gleichzeitig haben wir den Wunsch, verstanden und wirklich gehört zu werden. Wir freuen uns über Mitmenschen, die uns wirklich zuhören können und wir wissen auch, dass es andere Menschen aufschließt, wenn diese den Eindruck haben, dass ihnen wirklich zugehört wird.

Wie könnte Fruchtbares und Neues in der Kommunikation zwischen Menschen entstehen?

(obiger Text-Abschnitt angelehnt an einen Text von J. F. & M. Hartkemeyer)

"Was Menschen tun, um ein Problem zu lösen, ist oft genau das, was das Problem hervorruft." (Paul Watzlawick)

 

"Entschleunigung"

Rolf-Dieter Spann, Collage-Kunstscheune Dassel

 

Der Dialogprozess - so wie ich ihn verstehe - ist ein Arbeits- und Lebensprinzip, kaum in Worten beschreibbar; man muss ihn erleben!

Der Dialogprozess ist mehr als ein Gespräch. Er ist eine Haltung und meint: gemeinsames Denken, Achtsamkeit, Respekt und "von Herzen reden". Seine Wurzeln reichen zurück bis zu dem Philosophen Martin Buber und dem Quantenphysiker und Nobelpreisträger David Bohm.

Im Dialogprozess sind wir als Teilnehmende herausgefordert, die eigenen Ansichten erst einmal "in der Schwebe zu halten", ihnen sozusagen eine Ruhepause zu verordnen.

Zentrales Ziel im Dialogprozess ist es, die automatischen Kettenreaktionen, die aus unseren im Unbewussten gespeicherten Mustern entstehen, zu durchbrechen - durch Verlangsamung und geübte Achtsamkeit quasi das eigene Denken zu beobachten. Aus der respektvollen Hinwendung zum anderen entsteht die Bereitschaft, uneingeschränkt und vorurteilsfrei zuzuhören. Somit begegnen wir uns nicht in erster Linie als Wissende, sondern als Lernende.

Die Haltung eines Lerners (G. R. Verhoek)

Der Dialogprozess ist kein Zaubermittel... und der erste Schritt zur Besserung.​ Warum den Eindruck hinterlassen, dass man sich nichts mehr zu sagen hat und dass Gespräche nur Sieger und Verlierer kennen? Das Gespräch miteinander muss man lernen! Es kann wirklich besser laufen.

In meinen Einführungsveranstaltungen und Gruppen lege ich den Schwerpunkt auf den generativen Dialogprozess.
Das Thema/die Themen im jeweiligen Dialogprozess ergibt/ergeben sich aus den Beiträgen, zum Beispiel in der Anfangsphase, dem sog. Check-In.
Ich lege Wert darauf, dass die Teilnehmer Gewahrsein und Meditation regelmäßig üben; denn nur in einer Kontinuität entwickeln diese Haltungen ihre volle Wirksamkeit.

 

Der generative Dialogprozess (Text eines suggestopädischen Impuls-Konzerts, G. R. Verhoek)

(Lit.: M. & J.F. Hartkemeyer/L. Freeman Dhority, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs. Klett-Cotta Stuttgart 1998; David Bohm, Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. Klett-Cotta Stuttgart 1998)

Das Wort Dialog leitet sich ab aus den Wurzeln dia, was durch heißt und logos, was das Wort, oder genauer die Wortbedeutung heißt. Das Bild, das aus beiden entsteht, ist das eines Fließens von Sinn um die Teilnehmer und durch sie hindurch.

Es gibt zwei Formen des Dialogprozesses: strategischer und generativer Dialogprozess. Im generativen Dialogprozess geht es um grundsätzliche Fragen nach Kommunikations-strukturen und die Art unseres Denkens. Wir können im generativen Dialogprozess lernen, die individuellen Grenzen unserer Wahrnehmungen zu überschreiten und uns mit anderen in einen neuen, kreativen Erkundungsprozess einlassen.

Als Gruppe denkend weiterkommen, Erkenntnis zu finden durch die Bereitschaft, einander zuzuhören, eigenes Denken und Fühlen zu äußern, ohne scheinen und glänzen zu wollen.

„Gutes Zuhören heißt nicht so sehr, anderen zuzuhören, als sich selbst. Eine gute Sicht zu haben heißt nicht so sehr, andere zu sehen, sondern sich selbst. Denn die, die sich nicht selbst zuhören, können die anderen nicht verstehen; und sie sind selbst blind gegenüber der Wirklichkeit anderer, wenn sie nicht in sich selbst eingedrungen sind. Ein guter Zuhörer versteht selbst dann, wenn nichts gesagt wird.“ Anthony de Mello

Die 10 Kernfähigkeiten im Dialogprozess

Die Haltung eines Lerners verkörpern... Anfängergeist und die Bereitschaft, sich selbst einzugestehen, dass man nicht wirklich weiß... „Im Anfängergeist gibt es viele Möglichkeiten. Im Geist des Experten gibt es wenige.“ Shunryo Suzuki, Zen-Meister

Radikaler Respekt... ich akzeptiere nicht nur, wer du bist; ich versuche auch, die Welt aus deiner Perspektive zu sehen...

Offenheit... sie entsteht, wenn zwei oder mehrere Personen bereit sind, sich voreinander von ihren Überzeugungen zu lösen...

„Sprich von Herzen“... und fasse dich kurz! Ich rede von dem, was mir wirklich wichtig ist, was mich wesentlich angeht... ich versuche den Mut zu fassen, mich wirklich zu zeigen...

Zuhören... aktives, mitfühlendes Zuhören... empathisches Zuhören bedeutet, auch zwischen den Worten auf die tiefere Bedeutung meines Gesprächspartners zu lauschen... er kann dann Dinge aussprechen, die er sonst nicht aussprechen könnte...

Verlangsamung... durch die Dialogprozess-Regeln (Redestein, Bedächtigkeit, Klangschale) ist schon eine gewisse Verlangsamung gegeben... das Denken soll im Dialogprozess beobachtet werden und da unsere Gedanken automatisch zu kommen scheinen und wir alle schnell und impulsiv antworten wollen und dabei kaum bemerken, dass wir aus dem alten „Wissensvorrat“ reagieren, ist die Verlangsamung unabdingbar... wir wollen unabhängig werden von den dominierenden Programmen, um uns kreativ neuen Aspekten der Welt öffnen zu können...

Annahmen und Bewertungen „suspendieren“... die „Wurzeln dranlassen“... unsere Verhaltensmuster sind überwiegend frühkindlich programmiert... das heißt, die gegenwärtige Welt wird durch ein Muster aus vielleicht veralteten Daten subjektiv interpretiert... sie wird dazu noch ständig verglichen und bewertet, ohne dass uns dies so richtig auffällt... ein zentrales Ziel im Dialogprozess ist es, die Kettenreaktionen in unserem Inneren abzubrechen...

Produktives Plädieren... meine eigenen Annahmen und Bewertungen entdecken und sie den Annahmen und Bewertungen der Gesprächspartner an die Seite stellen... zu lernen, sie nebeneinander bestehen zu lassen... das „entweder/oder“ ist aufgehoben... es gilt das „sowohl/als auch“...

Eine erkundende Haltung üben... unschuldige, einfache Fragen stellen... aus dem Bedürfnis heraus, etwas Neues wirklich verstehen zu wollen...

Den Beobachter beobachten... Ziel und Zweck des Dialogprozesses ist es, Denkprozesse so zu verlangsamen, dass sie im gemeinsamen Gedankenraum (Container) beobachtet werden können... diesen inneren Beobachter zu entwickeln, ist eine der zentralen Aufgaben im Dialog... es geht im Dialogprozess darum, Überzeugungen und Haltungen auf den Grund zu gehen, die unterschwellig unsere Interaktionen und Handlungen bestimmen... beobachtete Gedanken verändern sich... nachdem der Beobachter installiert worden ist, kann man auch anfangen, diesen zu beobachten und entdeckt dabei eine tiefere Wesenheit... man kommt der Idee des Einssein nahe...

Gestaltungselemente des Dialogprozesses

Es gibt in der Anfangsphase einen Facilitator... er ist „primus inter pares“... der Prozess-Gestalter hilft der Gruppe, den formalen Rahmen einzuhalten... hat die Gruppe nach einiger Zeit die wesentlichen Regeln verinnerlicht, so gliedert sich der Facilitator in die Gruppe ein; denn der Dialogprozess benötigt keine Gesprächsführung durch einen Leiter...

die Teilnehmer sitzen im Kreis um ein Zentrum...

das Zentrum unterstützt die Ausbildung eines Energiefeldes oder -raumes, des Containers

Check-In: der Container wird entwickelt, dadurch, dass alle Teilnehmer sich auf den anstehenden gemeinsamen Prozess einschwingen... einstimmen... besinnen... es ist ein bestimmter Zeitrahmen gegeben, um von der Alltagskommunikation auf die Form des Dialogprozesses umschalten zu können...

Zeitvorgabe für den Dialogprozess: mindestens 90 Minuten

ein Redestein... nur wer diesen Stein in Händen hält, darf reden und darf von niemandem unterbrochen werden

gesprochen wird in das Zentrum... geradewegs in den Container hinein... zu allen reden

eine Klangschale zum Verlangsamen... zum „Unterstreichen“ eines Beitrages... solange der Ton der Schale zu hören ist, wird nicht gesprochen und nicht reagiert (um sich zum Beispiel den Stein „zu sichern“)...

Feedback-Regeln: Störungen haben Vorrang... vertrete Dich selbst in Deinen Aussagen: sprich per ICH und nicht per WIR oder MAN!... vermeide Verallgemeinerungen... sprich Deine Meinung und Deine Gefühle aus...

Check-Out: der abgelaufene Dialogprozess wird zum Thema... der Prozess wird reflektiert und die Wahrnehmungen können mitgeteilt werden... so kann deutlich werden, dass mein Erlebnis dieses Dialogprozesses wirklich nur „mein“ Erlebnis ist, d.h. es wird der Gefahr eines Trugschlusses vorgebeugt, dass ich mein eigenes Erleben zum Erleben der Gruppe erhebe...